Versorgung mit Verantwortung /

Geschäftsführer Dr. Dieter Grupp im Gespräch /

Welche Änderungen brachten die letzten 25 Jahre mit sich und wo liegen die künftigen Herausforderungen? ZfP-Geschäftsführer Dr. Dieter Grupp zieht im Gespräch mit Facetten Bilanz. 

Dr. Dieter Grupp

"Durch den Ausbau der Angebote über Sektor – und Systemgrenzen hinweg können wir inzwischen so gut jedem Betroffenen ein passgenaues Behandlungsangebot in Wohnortnähe machen. Das führt dazu, dass sich die Verweildauer in den Kliniken über die Jahre hinweg immer weiter reduziert hat."

REDAKTION: Die Umwandlung von den Psychiatrischen Landeskrankenhäusern zu Zentren für Psychiatrie 1996 war weit mehr als eine reine Formalie. Welche Änderungen gingen damit einher? 
DR. DIETER GRUPP: Für uns begann damit die Entwicklung zu einem modernen Gesundheits- und Sozialunternehmen. Die Entscheidungsfreiheit nahm massiv zu, somit waren wir in der Lage, wirtschaftlich zu handeln und dadurch am Markt zu bestehen. Alle Rechtsgeschäfte, für die zuvor eine langwierige Abstimmung erforderlich war, wurden nun von einem Geschäftsführer verantwortet. Somit ließen sich schnelle Entscheidungen herbeiführen, beispielsweise bei Einstellungen oder Baumaßnahmen. Über dem Geschäftsführer steht der Aufsichtsrat. Im Fall der Psychiatriezentren ist das ein relativ schlankes und entscheidungsfreudiges Gremium, das zudem nicht von der politischen Tagesform abhängig ist. Das empfinde ich bis heute als großes Plus. 

REDAKTION: Wie wurde diese neu gewonnene Entscheidungsfreiheit genutzt? 
GRUPP: Die Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung ging plötzlich in großen Schritten voran. Die Satzung der Psychiatriezentren ermöglichte es uns fortan, auch außerhalb der stationären Versorgung Fuß zu fassen. Mit ambulanten und teilstationären Angeboten und durch die Zusammenarbeit mit anderen Trägern sowie die Einrichtung Gemeindepsychiatrischer Zentren konnten wir wichtige Versorgungslücken schließen. 

REDAKTION: Und wie genau profitieren Menschen mit psychischen Erkrankungen heute davon? 
GRUPP: Früher war ein stationärer Aufenthalt bei einer schweren psychischen Erkrankung die Regel. Heute hingegen sind die Möglichkeiten deutlich vielfältiger. Durch den Ausbau der Angebote über Sektor – und Systemgrenzen hinweg können wir inzwischen so gut jedem Betroffenen ein passgenaues Behandlungsangebot in Wohnortnähe machen. Das führt dazu, dass sich die Verweildauer in den Kliniken über die Jahre hinweg immer weiter reduziert hat. Der Erhalt der sozialen Strukturen ist somit viel besser gewährleistet, was wiederum zur Gesundung beiträgt. Außerdem hat dieser Ansatz auch dazu beigetragen, dass die Psychiatrie ein Stück weit entstigmatisiert wurde. 

REDAKTION: Blicken wir nochmal zurück. Als die Rechtsformänderung damals bevorstand, gab es bei den Beschäftigten sicher auch Bedenken. Wie sieht die Situation heute aus? 
GRUPP: Die soziale Sicherheit der Beschäftigten spielte von Anfang an eine wichtige Rolle, trotz Rechtsformänderung wurde Arbeitsplatzsicherheit und die Tarifbindung garantiert. Vermutlich haben die Mitarbeitenden der Zentren daher am meisten von allen Interessensgruppen profitiert. Sie haben heute ein sicheres Arbeitsverhältnis bei einem öffentlichen Träger und gleichzeitig die Freiheit, das zu tun, was für die Versorgung der ihnen anvertrauten Menschen am besten ist. Die Mitarbeitenden sind unser wertvollstes Gut – das ist bei uns nicht nur ein Satz im Leitbild, sondern mündet in ganz konkreten Maßnahmen. Angefangen von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie über umfangreiche Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten bis hin zu Betrieblichem Gesundheitsmanagement. Dieser Ansatz hat sich bewährt. In Zeiten von Fachkräftemangel profitiert das ZfP Südwürttemberg von seinem Ruf als zuverlässiger und guter Arbeitgeber. 

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REDAKTION: Die Mitarbeiterorientierung hat sich also schon sehr früh abgezeichnet. Welche anderen Grundsätze gelten bis heute? 
GRUPP: Wir haben uns schon sehr früh auf zentrale Unternehmenswerte verständigt, die sich seit 25 Jahren durchziehen. Zum einen legen wir Wert auf gemeindenahe und umfassende Angebote. Wenn wir irgendwo eine Versorgungslücke entdecken, versuchen wir, diese zu schließen. Das ist unser Grundanspruch an eine gute Versorgung. Dies gelingt nur, wenn wir uns mit anderen Trägern vernetzen, anstatt mit ihnen in Konkurrenz zu treten. Das geschieht auf Augenhöhe, ganz egal, wie klein ein Träger sein mag. Und wir legen als forschende Einrichtung Wert auf eine Versorgung nach aktuellem wissenschaftlichem Stand. 

REDAKTION: Qualität steht also immer noch vor Kostenersparnis…
GRUPP: Richtig. Unser Erfolgsrezept beruht darauf, die Versorgungsqualität in den Vordergrund zu stellen und uns mit allen Kräften dafür einzusetzen, dass diese auch finanziert wird. Wir versuchen also, mit den gegebenen Ressourcen einen maximalen Nutzen für psychisch kranke Menschen zu schaffen. Diese Haltung unterscheidet uns von so manch anderen Akteuren im Gesundheitswesen. 

REDAKTION: Welche Zukunftsausgaben warten in den nächsten 25 Jahren? 
GRUPP: Auch wenn wir viel erreicht haben, werden uns einige Themen noch weiter begleiten. So gibt es immer noch zu wenig wirklich sektorenübergreifende Angebote, der Unterschied zwischen ambulant und stationär im gesamten Gesundheitssystem ist noch zu groß. Leider wird bei der Finanzierung psychiatrischer Leistungen immer noch in Fällen gedacht, etwa wie bei einem Beinbruch oder einer Blinddarm-OP. In der Psychiatrie geht es jedoch nicht um Fälle, sondern um höchst individuelle Menschen, die meist über einen langen Zeitraum hinweg Behandlung brauchen. Hier sind wir sicher weiterhin gefragt, alternative Modelle zu finden, wie beispielsweise Regionalbudgets.

REDAKTION: Wird sich auch die Behandlung weiter verändern? 
GRUPP: Hier liegt die eine der Herausforderungen auf dem Tema Digitalisierung. Diese verändert unsere Kommunikation, unsere Interaktion und somit auch unsere Beziehungen. Da unsere Arbeit jedoch in erster Linie Beziehungsarbeit ist, werden wir uns fragen müssen, wie sich diese Änderungen auf psychische Störungen und deren Behandlung auswirken. Das ist ein spannender Themenkomplex, den wir angehen müssen. 

Aufgezeichnet von Heike Amann-Störk